Im Feld – Miriam Bajtala und Ekaterina Shapiro-Obermair

Miriam Bajtala und Ekaterina Shapiro-Obermair treffen sich im Feld. Beide Künstlerinnen arbeiten bisweilen wie Ethnografinnen. Sie gehen ins Feld und beforschen sich selbst und andere, analysieren, kontextualisieren und arrangieren Sinnzusammenhänge.
In dieser Duo-Ausstellung zeigen die Künstlerinnen eine Auswahl ihrer individuellen Werke und loten Schnittstellen sowie Kontrapunkte aus. Die präsentierten Werke verhandeln aus unterschiedlichen Perspektiven die Themen Körperlichkeit und Arbeit sowie Klassismus und Erfahrungswissen. Es wird vom Körper aus gedacht – wie schreiben sich unsere Körper und ihr Tätigsein in den Raum ein? Wie arbeiten Frauen? Wie arbeiten Männer? Wie lässt sich das künstlerische Schaffen einerseits, der Lohnarbeit im industriellen Kontext andererseits gegenüberstellen? Welche Rolle spielt der männliche Körper im Krieg? Und wie verkörpern sich die Schrecken des Krieges in den Körpern und in der Natur?
Miriam Bajtala, 1970 in der ehemaligen Tschechoslowakei geboren, thematisiert in unterschiedlichen Sprecharten Reproduktionen von Ungleichheit, Machtverhältnissen, sowie Strategien der Selbstermächtigung, Zeugenschaft und Repräsentation. Im kunstraum pro arte zeigt sie zum einen Zeichnungen aus dem Zyklus SCHWERE ARBEIT sowie die Videoarbeit IM AKKORD. In diesen Werken versucht sie Lohnarbeit und künstlerische Arbeit einander gegenüberzustellen und fragt nach Entsprechungen sowie nach einer Darstellbarkeit beider Systeme. Zum anderen zeigt sie die Videoinstallation BECOMING OUTLINE. In dieser Videoarbeit schreibt sie ihre Geschichte buchstäblich in ein Feld ein, in dem 18 Grundrisse von Wohnungen, die sie bewohnt hat und Personen, die ihr Leben prägten – auf einer Wiese reinszeniert werden. Ihr Werdegang oder vielmehr ihr Werden nimmt Kontur an, wird zum Umriss, der über sich selbst hinauswächst.
Ekaterina Shapiro-Obermair, 1980 in Moskau geboren, beschäftigt sich in vielen ihrer Arbeiten mit dem kollektiven Gedächtnis, Geschichts-schreibung, sowie der Sichtbarwerdung von Ideologien in gebauten und sozialen Räumen. In der aktuellen Ausstellung zeigt sie zwei neue Arbeiten: Ihr Film GRÄBER begleitet 2016 eine Exhumierung gefallener Soldaten der Roten Armee in der heutigen Westukraine. Die Künstlerin schaut anderen beim buchstäblichen Graben zu, befragt diese Form der Geschichts- und Gedenkarbeit, die mit ihr verbundenen Rituale des Erinnerns sowie „die Rolle des männlichen Körpers im Krieg – einem Körper, der gleichermaßen Tod bringt und gleichzeitig einer besonderen Gefahr ausgesetzt ist“ (Shapiro-Obermair). Darauf aufbauend entwickelt sie die Rauminstallation DER TOTE WALD in der die Vernichtungskraft des Krieges in ihrer Totalität evoziert wird.
Beide Künstlerinnen arbeiten multimedial – von der Zeichnung über Installationen bis hin zu Videoarbeiten.
ARTIST STATEMENTS:
Miriam Bajtala
Wenn Nachforschungen die Stationen des eigenen Lebens zum Gegenstand haben, drängt sich das „Zuhause“ in das wissenschaftliche „Feld“ hinein: In der Videoinstallation BECOMING OUTLINE erscheinen die 18 Grundrisse der Wohnungen, in denen ich gelebt habe, als rot gesteckte Umrisse – ein tatsächliches, begehbares Feld auf einer Wiese. Sichtbar wird ein räumlicher, fragmentarisch erzählter Lebenslauf: Was bedeutet es, „im Nachteil zu sein“ und aus einer ökonomisch kapitalschwachen, patriarchalen und kulturell ungebildeten Familie mit Migrations-„Vordergrund“ zu kommen? Was heißt das Wort „Selbstermächtigung“ – und wie lässt sich so eine Geschichte erzählen? Mit den Zeichnungen SCHWERE ARBEIT erforsche ich unterschiedliche Prozesse des künstlerischen Arbeitens an sich. Ausgangspunkt war mein Video IM AKKORD, in dem ich nach den Körperbewegungen meiner Mutter während ihrer langjährigen Fabriksarbeit fragte. Wie lässt sich die im Akkord verrichtete Lohnarbeit – sichtbar in der Körpererinnerung ihrer Hände – meiner kreativen Arbeit gegenüberstellen? Das thematisiere ich mit dem Arbeitszeitprotokoll, das – ähnlich wie Stempelkarten – die für die Zeichnungen notwendigen Aufgaben und Arbeitsstunden aufzeichnet. Die einzelnen Blätter nehmen Bezug auf Texte, Bilder und Songs, die sich mit Klassismus auseinandersetzen und wichtige Referenzen in meiner künstlerischen Praxis sind.
Ekaterina Shapiro-Obermair
Für die Ausstellung in Pro Arte habe ich zwei neue Arbeiten entwickelt, die inhaltlich miteinander verbunden sind, jedoch jeweils autonom bleiben. Ausgangspunkt ist die Videoarbeit GRÄBER: An einem Maitag 2016 begleitete ich in einem Wald in der Westukraine einen Suchtrupp, der sich auf die Bergung der Gefallenen beider Weltkriege spezialisiert hat. Der Film ist als atmosphärische Dokumentation angelegt und zeigt Männer bei ihrer Arbeit, während die eigentlichen Funde kaum zu sehen sind. Die zweite Arbeit ist eine räumliche Collage, die Motive aus dem Film aufgreift und sie künstlerisch-assoziativ im Raum platziert. Der Titel DER TOTE WALD ist vom gleichnamigen Gedicht Karl Kraus’ aus den LETZTEN TAGEN DER MENSCHHEIT inspiriert. Die Verbindung mit dem Video gibt eine Leserichtung für die einzelnen Elemente der Installation vor: Die Bäume, die auf den Kriegsgräbern wachsen, sind bereits selbst tot – vernichtet durch den aktuellen Krieg, in dem nicht nur Menschen getötet, sondern auch Natur zerstört wird.
Eröffnung: Samstag, 5. Juli 2025 um 11:00 Uhr
Dauer der Ausstellung: 5. Juli bis 23. August 2025
Veranstaltungen (Eintritt frei)
Freitag, 22. August um 18:00 Uhr
Artist Talk mit Miriam Bajtala und Ekaterina Shapiro-Obermair
Moderation: Thomas Hörl
Bildnachweis:
© Miriam Bajtala/Ekaterina Shapiro-Obermair